Dr. Martha Wygodzinski

Dr. Martha Wygodzinski (1869-1943) „Engel der Armen “

Zwei Drittel der Studienanfänger im Fach Medizin sind heute weiblich. Das war im deutschen Kaiserreich noch anders, voll Grauen schrieben die (männlichen) Professoren in Halle 1902 über Frauen im Medizinstudium: : „In den Stätten ehrlichen Strebens ist mit den Frauen der Zynismus eingezogen, und Szenen, für Lehrer und Schüler wie für die Patienten in gleichem Maße anstoßerregend, sind an der Tagesordnung. Hier wird die Emanzipation der Frau zur Kalamität, hier gerät sie mit der Sittlichkeit in Konflikt!“

Für Martha Wygodzinski bedeutete diese Form besonderer männlicher Angst, dass sie ihren Doktor zweimal machen musste- einmal in der Schweiz und einmal in Deutschland. Als eine von vier Töchtern in der Familie des Bankiers und Grundstücksmaklers 1869 in Berlin geboren, konnte sie 1893 das Studium der Medizin aufnehmen- allerdings nur in der Schweiz. Preußen versperrte bis 1908 bis auf wenige Ausnahmen den Frauen den Weg in die die Universitäten. Ihren Doktor erlangte sie 1898 und zog nach Berlin. Dort konnte sie nicht praktizieren, da der ausländische Abschluss nicht anerkannt wurde (für Männer galt das übrigens nicht). Aber sie konnte inzwischen wenigstens studieren und begann von vorne, diesmal im Schnelldurchlauf. Als erste Frau überhaupt legte sie 1901 das Physikum ab und approbierte im Jahr darauf. Endlich konnte sie auch in Deutschland als Ärztin arbeiten und wählte den Prenzlauer Berg als ihre Wirkungsstätte. Als Armenärztin erlangte sie schnell den Ruf des „Engels der Armen“ bzw. „Engel des Nordens.“ Sie gründete ein Heim für ledige Schwangere in Pankow und setzte sich für eine Frauenklinik ein.

Mit dem Frauenwahlrecht konnte Martha Wygodzinski nicht nur wählen, sie wurde auch gewählt. Von 1919 bis 1925 wirkte sie in der Stadtverordnetenversammlung Berlins und setzte sich u.a. für die Rechte der Prostituierten und der Reform des § 218 ein.

Mit dem Nationalsozialismus verlor sie alles, was sie sich aufgebaut hatte. Eine Woche nach ihrem 73. Geburtstag ging es 1942 morgens um 3.15 Uhr in einem Sonderzug in das Konzentrationslager Theresienstadt. Dort half sie, solange sie konnte, den Mitpatienten, bis sie vor Erschöpfung und „eines Tages wie ein Licht erlosch.“, wie sich eine Mitgefangene erinnerte. Martha Wygodzinski, der Engel der Armen, starb am 27. Februar 1943 in Theresienstadt.

Sich engagieren, wählen, gewählt werden, etwas bewegen.
Dr. Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Vor 100 Jahren haben sich Frauen das Wahlrecht erstritten: ein Meilenstein der Gleichberechtigung, dem viele weitere folgten. Die Kampagne „Für Elise“ macht auf die Frauen aufmerksam, die hinter diesen Fortschritten stehen. Frauen wie Martha Wygodzinski, die im ausgehenden 19. Jahrhundert Medizin studiert hat, Ärztin wurde und in den Arbeitervierteln im Berliner Norden praktiziert hat. Eine beeindruckende Frau! 1919 wurde sie zur Stadtverordneten gewählt und kämpfte für die Rechte von Alleinerziehenden und Prostituierten. 1943 wurde die Jüdin und Sozialdemokratin von den Nationalsozialisten in Theresienstadt ermordet.

Martha Wygodzinski hat Großes geleistet. Mit dem Mut, vorgezeichnete Wege zu verlassen, mit praktischer Hilfe und mit politischem Engagement. Dies alles ist 2018 genauso wichtig wie 1918. Als Ministerin setze ich mich dafür ein, dass Frauen die gleichen Chancen wie Männer haben – ob als Pflegerin oder Erzieherin, als Führungskraft im Großkonzern oder als Mutter. Was vor 100 Jahren das Wahlrecht war, ist heute die Aufwertung der sozialen Berufe, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gleiche Chancen auf Führungspositionen und immer noch das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben, geschützt vor Gewalt. Martha Wygodzinski und 100 Jahre Frauenwahlrecht zeigen, was möglich ist: Aus den Steinen, die uns in den Weg gelegt werden, machen wir Meilensteine der Gleichberechtigung. Frauen können alles. Wir haben Rechte und Stimmen. Wir sind hörbar und wählbar. Wir bestimmen mit.

 

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